Geschichte des Stress-Begriffs

Heutzutage ist Stress für uns alle ein Begriff: Berufliche Überforderungen, tägliche Aufgaben wie zum Beispiel Einkaufen gehen oder Wäsche waschen, Beziehungsprobleme, und noch vieles mehr assoziieren wir mit Stress. Meist handelt es sich dabei um eher negative Assoziationen, die sich in Belastung und Druck äußern. Doch noch vor 100 Jahren war der Begriff “Stress” – so wie wir ihn heute kennen – nicht bekannt.

Die frühe Verwendung des Stress-Begriffs

Stress wurde in der frühen Verwendung als Konzept der Spannung verstanden, um körperliche Beanspruchungen oder Belastungen zu beschreiben, die von außen auf den Körper einwirken (z. B. unangenehme Umweltbedingungen wie Hitze oder Kälte). Erst 1814-1819 erschien der erste Bericht über Stress, der diesen entsprechend unseres heutigen Verständnisses als Kombination von äußeren und inneren Anforderungen beschreibt.

Claude Bernard (1813-1878)

Claude Bernard legte die Grundsteine für unser heutiges Verständnis der Homöostase (inneres Gleichgewicht), indem er seine Theorie des “Milieu intérieur” (= die innere Umwelt) entwickelte. Diese besagt, dass unser Körper stets darum bemüht ist, ein inneres Gleichgewicht zu bewahren. Beispielsweise entdeckte er, dass unser Körper automatisch auf Temperaturveränderungen reagiert. Das heißt, dass unser Körper die Weite unserer Blutgefäße regulieren kann, um die Innentemperatur des Körpers zu kontrollieren.

Sir William Osler (1849-1919)

Osler beschrieb keinen direkten Zusammenhang zwischen Stress und Gesundheit. Dennoch entdeckte er, dass unsere Einstellungen und Gedanken einen Einfluss darauf haben können, wie unsere Krankheit verläuft und erkannte demnach die Rolle von Kognitionen bei der Entwicklung von Krankheit und Gesundheit an. Auch heutzutage betonen Stressmodelle und Vertreter:innen der Stressforschung die Rolle der Kognitionen (besonders hervorzuheben ist hierbei das transaktionale Stressmodell von Lazarus, welches später aufgegriffen wird).

Walter Cannon (1871-1945)

Walter Cannon war der nächste Wegbereiter zu unserem heutigen Stressverständnis –  er setzte an die Theorie von Bernard an und definierte den Begriff “Homöostase” als einen stabilen inneren Zustand. Des Weiteren prägte er den Begriff der “Kampf-oder-Flucht-Reaktion”: Wenn wir uns selbst in Gefahr sehen (zum Beispiel bei Konfrontation mit Bedrohungen, Stressoren, Störungen,…), reagiert unser Körper mit einer angepassten Reaktion. Diese äußert sich entweder in Kampf oder Flucht.

Carl-Lange-Emotionstheorie

Emotionen werden laut der Theorie durch körperliche Vorgänge ausgelöst. Ein Mensch weint demnach nicht, weil er traurig ist, sondern er ist traurig, weil er weint. Cannon kritisierte dies und entwickelte eine alternative Theorie (= Cannon-Bard- Emotionstheorie), die besagt, dass es emotionale Zentren im Gehirn gibt, die für Emotionen und Gefühle verantwortlich sind. Walter Cannon kombinierte seine Emotionstheorie und sein Homöostasemodell zu seiner Theorie der “Kampf-oder-Flucht-Reaktion”.

Hans Selye (1907-1982)

Selye wird als Vater der Stressforschung angesehen und prägte den Begriff der Stressreaktion. Er entwickelte ein 3-stufiges Muster körperlicher Reaktionen auf Stress (General Adaptation Syndrom = GAS), das später als Stressreaktion benannt wurde:

  1. Alarmreaktion: Der Körper bereitet sich auf Kampf oder Flucht vor
  2. Widerstandsphase: Der Körper bereitet sich auf einen anhaltenden Angriff gegen den Stressor vor (unser Körper passt sich unseren Anforderungen an)
  3. Erschöpfung: Unser Körper/Organismus erschöpft sich und kann keinen Widerstand mehr gegen den Stressor leisten

Während Cannon sich also auf die Erforschung der vorübergehenden Reaktionen auf akute Stressoren fokussierte, widmete sich Selye der Untersuchung von chronischem Stress und dessen Wirkung.

Yerkes-Dodson Gesetz (1908)

Das Gesetz von Robert Yerkes und John Dodson wird als umgekehrt U-förmige Abbildung zur Beschreibung der optimalen Beziehung zwischen Erregung und Leistung dargestellt. Es postuliert, dass wir Menschen am effektivsten sind, wenn sich unser Stresslevel im mittleren Bereich befindet.

Abbildung zum Zusammenhang von Leistung und Stress nach dem Yerkes-Dodson-Niveau
Yerkes-Dodson-Gesetz zum Zusammenhang von Leistung und Stress

Der Zweite Weltkrieg

Die Ereignisse des Zweiten Weltkrieges waren für viele Menschen psychisch traumatisierend und belastend. Aufgrund dieser Ereignisse und des Ausmaßes an Stress konnte die schädliche Wirkung von Stress ohne organische Beteiligung nicht mehr bestritten werden.

Nachkriegsforschung

Wie bereits dargelegt, konzentrierte sich die frühere Stressforschung vorrangig auf körperliche Stressoren. Erst durch den Zweite Weltkrieg wurde der psychologische Beitrag von Stress in den Fokus gerückt. In der Nachkriegsforschung wurde sich vermehrt auf gewöhnliche psychologische Stressoren bezogen (z. B. Trauer, Angst, Bedrohung) und weniger auf kämpferischen Stress.

Richard Lazarus (1922-2002)

Der Psychologe Richard Lazarus stellte Selyes Theorie (GAS) in Frage und trug dadurch einen großen Beitrag zur Stressforschung bei. Er hob besonders die individuellen Unterschiede von Personen in ihrer Reaktion und in ihrer Bewertung von Stressoren hervor – Eine Person kann ein und dieselbe Situation als harmlos bewerten, wohingegen eine andere diese als stressig ansieht. Lazarus entwickelte das sogenannte “Transaktionale Stressmodell”, demzufolge Stress aus der jeweiligen Person-Umwelt-Passung entsteht.

Verbreitung der Stressforschung

Anfang der 1980er Jahre zeigte die Stressforschung bereits weitere Fortschritte. Es wurden Stressoren und psychische Erkrankungen ausgiebig differenziert sowie neue Bereiche des Stresses erforscht (z. B. Arbeitsstress, Alltagsstress, wahrgenommener Stress).

Weiterführende Literatur

Robinson, A. (2018). Let ́s talk about Stress: History of Stress Research. Review of General  Psychology, 22(3), 334-342. http://dx.doi.org/10.1037/gpr0000137

Lazarus, R. S. (1993). From psychological stress to the emotions: A History of Changing Outlooks. Annual Review Psychology, 44, 1-21.

Lazarus, R. S., & Folkman, S. (1987). Transactional theory and research on emotions and coping. European Journal of personality, 1(3), 141-169.

Selye, H. (1936). A syndrome produced by diverse nocuous agents. Nature, 138(3479), 32.

Ein Beitrag von Hannah Bothe.