Wäsche waschen, einkaufen gehen, der Chefin das längst überfällige Essay zukommen lassen – wir alle schieben hin und wieder eine Aufgabe auf und verdrängen unsere Verpflichtungen. Doch trotz dieses vermeidenden Verhaltens, verschwinden unsere Aufgaben nicht einfach. Im Gegenteil: Spannende Effekte der Psychologie zeigen auf, wieso gerade unerledigte Aufgaben zu mehr Stress führen können und wieso die Wiederaufnahme der Verpflichtungen nach Feierabend auch eine positive Seite haben kann.
Zum besseren Verständnis der Auswirkungen von unerledigten Aufgaben, wird das fiktive Beispiel von Caroline betrachtet:Caroline hat einen typischen Bürojob als Bankkauffrau – 3 Tage vor Ort, 2 Tage im Home-Office. Vor einer Woche hatte ihr Chef ihr angekündigt, dass sie ein großes Projekt der Firma vor ihren Kolleg:innen präsentieren soll. In 5 Tagen ist es nun soweit und bis jetzt hat sie noch nicht die Motivation und Zeit gefunden, ihrer beruflichen Verpflichtung nachzugehen. Stattdessen hat sie ihre unerledigte Aufgabe erfolgreich verdrängt, wodurch sie ihr nun jedoch noch präsenter erscheint.
Das ist nicht überraschend, da wir uns – laut der bisherigen Forschung – an unerledigte Aufgaben sogar besser erinnern, als an bereits abgeschlossene Aufgaben. Dies wird auch Zeigarnik-Effekt genannt. Darüber hinaus machte die Psychologin Maria Ovsiankina im Jahr 1928 eine weitere interessante Beobachtung und entdeckte, dass wir ein natürliches Bedürfnis haben, unsere unerledigten Aufgaben abzuschließen. Das bedeutet, dass uns das Aufschieben von unerledigten Aufgaben vorerst eventuell als eine sinnvolle Lösung erscheint, langfristig gesehen sammeln sich diese Aufgaben jedoch an und führen zu Stress.
Auch Caroline denkt nach der Arbeit oft daran, dass der Präsentationstermin immer näher rückt, bekommt E-Mails von Kolleg:innen, die ihr mitteilen, wie gespannt sie auf die Vorstellung des Projektes seien und sieht überall im Bürogebäude Aushänge zu der kommenden Veranstaltung.Da sie trotz der Präsentation auch noch andere berufliche Aufgaben hat, kam ihr zunächst das Aufschieben des Vortrages als sinnvoll vor. Nun ist die Zeit knapp geworden und Caroline fühlt sich gestresst.
Doch welche Rolle spielen unerledigte Aufgaben im Arbeitsalltag?
Unerledigte Aufgaben sind durch die Digitalisierung der Arbeitsabläufe relativ alltäglich geworden – ungelesene E-Mails, selbstständiges Strukturieren im Home-Office und ständige Erreichbarkeit führen nicht gerade dazu, dass der Berg an ToDo’s verschwindet. Gerne werden Aufgaben auf den nächsten Arbeitstag verschoben, was unterhalb der Woche die Loslösung von der Arbeit erschweren sowie die morgendliche Erholung beeinträchtigen kann – unerledigte Aufgaben vor dem Wochenende (üblicherweise am Freitag) können sich sogar ungünstig auf die Schlafqualität am Wochenende auswirken.
Studien zeigen als Grund dafür besonders das arbeitsbezogene Grübeln auf, das unter anderem durch die unerledigten Aufgaben ausgelöst wird: Grübelprozesse halten unsere unvollendeten Verpflichtungen gedanklich präsent und erschweren somit das Abschalten in der Freizeit und während der Nacht. Beispielsweise denken wir noch vor dem Schlafengehen an ein wichtiges Gespräch mit potenziellen Kund:innen oder an die anstehenden Aufgaben der nächsten Woche.
Gedanken wie: “Wie soll ich das zeitlich hinbekommen?”, “Die Zuhörer:innen haben sicherlich hohe Erwartungen”, “Ich habe doch noch so viele andere Aufgaben”, verfolgen Caroline auch nach der Arbeit und sogar beim Einschlafen. Nun fühlt sie sich sehr erschöpft und ausgelaugt.
Der Zeigarnik- und Ovsiankina-Effekt in der modernen Arbeitswelt
Gerade durch neue Arbeitsmöglichkeiten, wie beispielsweise das Home-Office, sind die Auswirkungen des Zeigarnik- und Ovsiankina-Effektes präsenter als jemals zuvor. Wir sind ständig erreichbar und können einfach den Laptop oder PC starten und die Arbeit wieder aufnehmen. Dies führt dazu, dass wir die beruflichen unerledigten Aufgaben auch nach Feierabend oder sogar am Wochenende beenden wollen.
Auch Caroline scheint das Arbeiten am Wochenende und nach Feierabend die einzige Möglichkeit zu sein, die Präsentation bis zur Deadline in 5 Tagen fertigzustellen. Sie könnte ja einfach von ihrem PC aus arbeiten. Da hat sie alle nötigen Arbeitsmaterialien zur Verfügung.
Tatsächlich hat eine Studie von Weigelt und Syrek (2018) gezeigt, dass die Wiederaufnahme der unerledigten Aufgaben nach Feierabend zu einer Entlastung der Last dieser Aufgaben führen kann – und somit auch eine positive Seite hat. Dies sollte jedoch nicht zum exzessiven Arbeiten in der Freizeit und am Wochenende veranlassen. Die Literatur zeigt ebenfalls eindeutig, dass die tägliche Entspannung und das Nachgehen von Freizeitaktivitäten wichtig ist, um einen Ausgleich zum stressigen Arbeitsalltag zu schaffen und einen erholsamen Schlaf zu fördern.
Weiterführende Literatur
Gollwitzer, P. M., & Liu, C. (1995). Wiederaufnahme. In Kuhl, Julius et al. (Hrsg.). Enzyklopädie der Psychologie. Teilband C/IV/4: Motivation, Volition und Handlung (S. 209-240). Göttingen: Hogrefe.
Seibel, S., Volmer, J. & Syrek, C. (2022, July). Do daily unfinished tasks interfere with recovery? A diary study of the relationship between daily unfinished tasks, morning recovery, and detachment. Paper presented at the 15th European Academy of Occupational Health Psychology, Bordeaux.
Syrek, C. J., Weigelt, O., Peifer, C. & Antoni, C. H. (2017). Zeigarnik’s sleepless nights: How unfinished tasks at the end of the week impair employees’ sleep on the weekend through rumination. Journal of Occupational Health Psychology, 22(2):225-238. doi: dx.doi.org/10.1037/ocp0000031
Weigelt, O., Syrek, C. J., Schmitt, A., & Urbach, T. (2018). Finding peace of mind when there still is so much left undone – A diary study on how job stress, competence need satisfaction, and proactive work behavior contribute to work-related rumination during the weekend. Journal of Organizational Health Psychology, 24(3), 373-386. doi:10.1037/ocp0000117
Weigelt, O., & Syrek, C. J. (2018). Ovsiankina’s great relief: How supplemental work during the weekend may contribute to recovery in the face of unfinished tasks. International Journal of Environmental Research and Public Health, 14, 1606. doi: 10.3390/ijerph14121606.
Ein Beitrag von Hannah Bothe.